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Jessica Bruder
"Immer wieder sterben Leute auf dem Weg zum nächsten Job"
Die Verfilmung ihres Buchs "Nomadland" ist mit einem
Oscar ausgezeichnet worden. Im Interview beschreibt Jessica Bruder das
harte Leben der Arbeitsnomaden in ihren Vans.
Interview:
Manuel Stark
ZEIT Online:
Auszüge aus dem Interview:
Für einen Ruhestand fehlt das Geld, also ziehen Tausende Rentner in
den USA in ausgebaute Vans und fahren quer durchs Land – auf der Suche
nach Arbeit. Die Journalistin Jessica Bruder hat diese Leute mehrere
Monate lang begleitet und darüber ein Buch geschrieben. Die Verfilmung
ihres Buchs "Nomadland" ist bei den Academy Awards als bester Film ausgezeichnet worden.
ZEIT ONLINE: Sie fuhren mehrere Monate lang mit einem Wohnmobil durch die USA, um sogenannte Arbeitsnomaden zu begleiten. Wer sind diese Leute?
Jessica Bruder: Es sind vor allem weiße Rentner. Sie
haben ihre Wohnungen oder Häusern aufgegeben und leben das ganze Jahr
über in Autos oder Wohnwägen, weil sie sich den Ruhestand ohne Arbeit
nicht leisten können. Sie reisen in einer Art dauerndem Road-Trip von
Job zu Job, warten Fahrgeschäfte in Vergnügungsparks, fällen
Weihnachtsbäume, um sie an einer Straßenkreuzung zu verkaufen oder
stehen hinter Theken von Würstchengrills oder Fastfoodrestaurants. Viele
sind Saisonarbeiter, sie helfen als Platzwart von Campingplätzen oder
unterstützen bei der Zuckerrübenernte, obwohl viele von ihnen einen
Beruf gelernt oder sogar einen Uniabschluss haben
ZEIT ONLINE: Was brachte diese Menschen in so eine Situation?
Bruder: Die Leute haben mir alle möglichen Gründe
erzählt. Viele waren beruflich an ihren Heimatort gebunden. Die Löhne
blieben gleich niedrig, während die Mieten immer weiter stiegen. Der
Mindestlohn in den USA beträgt 7,40 Dollar die Stunde – von diesem Geld
kann man landesweit nur in etwa einem Dutzend Städten seine Miete
bezahlen. Das amerikanische Rentensystem liefert nur Zuschüsse für den
Lebensabend, es setzt darauf, dass man während des Arbeitslebens genug
anspart für den Ruhestand. Das funktioniert nicht länger, die Miete
frisst bereits den Großteil der Einnahmen. Die Weltfinanzkrise 2008 war
auch ein großer Faktor. Durch die Krise schlossen viele Firmen, Jobs
waren nur schwer zu bekommen und gerade die Älteren hatten kaum eine
Chance im Wettbewerb um neue Arbeit. Viele Menschen mussten sich
plötzlich entscheiden: Bezahle ich meine Miete, oder leiste ich mir
Medikamente? Wie viel kann ich am Essen sparen? Da erschien vielen ein
Leben unterwegs im Wohnmobil als bessere Option.
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ZEIT ONLINE: Sie spielen auf die sogenannte Camperforce des Versandhändlers Amazon an.
Bruder: Exakt. Vor allem das Weihnachtsgeschäft von
Amazon in den USA wäre undenkbar, würde der Konzern nicht gezielt auf
die vielen Rentner setzen. Die arbeiten zu Tausenden in den
Versandlagern, als Sortierer oder Verpacker. An besonders erfolgreichen
Aktionstagen wie dem Cyber Monday werden landesweit schon einmal mehr
als 400 Pakete in der Sekunde bestellt. Was das für die teilweise über
70 Jahre alten Frauen und Männer im Versandlager bedeutet, ist klar.
Fast alle Rentner gehen über ihre Grenzen. Und Amazon weiß das: In den
Lagerhallen sind Automaten aufgestellt, die gratis Schmerztabletten
ausgeben. Diese unglaublich harte Arbeit verkauft der Konzern im
Yippie-Slang eines Sommercamps: "Komm zu uns und du tust etwas für deine
Fitness und verdienst zugleich noch Geld" – so in etwa steht es auf
Flyern, die Amazon auf den Campingplätzen verteilt, die der Konzern
eigens für seine Saisonarbeiter anmietet hat. Trotzdem sind diese Jobs
attraktiv für die Nomaden, vor allem wegen der Jahreszeit.
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